Choralgesänge aus unserer Abtei

Gesang als Lebensform

Musik des Hörens

Hörend sucht der Mönch Gott, indem er „das Ohr seines Herzens neigt“ (RB Prolog). Nur wer das Wort Gottes hört und es wie Maria im Herzen bewegt und bewahrt, findet im Gebet zu Gott. Das Wort Gottes wird gehört und fordert Gehorsam, ist Gabe und fordert Hingabe.
Sowohl der namenlose Komponist als auch der Sänger des gregorianischen Chorals stehen in diesem marianischen Verhältnis zum Wort Gottes. Das in Demut und Gehorsam empfangene Wort wird ins Herz aufgenommen, es wird dort bewahrt, bewegt, meditiert und dann im gesungenen Gebet als Dank Gott, dem Herrn, wiedergegeben; das ist die wahre Form der Anbetung und Liturgie, es ist nicht Selbstgemachtes, sondern Wiedergabe und Hingabe des Empfangenen.

Musik des Lebens

Hingabe des Empfangenen ist Hingabe des ganzen Lebens, der Mönch gibt sich mit Leib und Seele und so ist auch sein Beten und Singen nicht anders möglich als in dieser Einheit.
In die Seele nimmt er das Wort Gottes auf, in den Leib den Atem, beide durchdringen sich, der Rhythmus des Wortes wird vom Atem durchformt und so wird die wesentliche Grundlage des Singens gebildet. Der Atem ist die körperliche Grundlage des Rhythmus, der Rhythmus ist Einteilung der Zeit, die Zeit ist Geschenk Gottes.
Das Wort Gottes in die Zeit hinein gesagt, liefert sich uns aus, unterwirft sich dem Rhythmus unseres Lebens. Der, der am Herzen des Vaters geruht hat, das fleischgewordene Wort Gottes, hat den göttlichen Herzschlag, den Rhythmus der Ewigkeit vernommen. Er, das ewige Wort des Vaters, ist die Grundlage für den Rhythmus unseres Lebens.
In der Sehnsucht nach dem Einklang mit dem Herzen Jesu entdecken wird den Rhythmus unseres Lebens, den Rhythmus der Kirche, den Rhythmus hin zur Ewigkeit. Ordensleben ist Ordo, Ordnung der von Gott geschenkten Zeit im Hinblick auf die Ewigkeit. Der Rhythmus des Gesanges des Wortes Gottes durchformt uns Mönche ganz, den Leib und die Seele, und macht uns christusförmig.

Musik der Einheit

Die Sehnsucht nach der Einheit mit Christus findet ihren tiefen Ausdruck in der Einstimmigkeit des Gesanges. Keine noch so schöne Polyphonie erreicht die Erhabenheit und Größe des gregorianischen Chorals. Jeder, der in einem Kloster Choral singt und wahre Einstimmigkeit erlebt hat, weiß, dass sie nicht Produkt ästhetischer Klangsuche und semiologischer Spitzfindigkeit ist, sondern einzig dem Gehorsam, der Demut und der Hingabe des Einzelnen entspringt.
Die Liebe zu Christus, die sich in der Liebe zur klösterlichen Gemeinschaft manifestiert, führt in die Einstimmigkeit unseres Singens, ut unum sint. So wird die Einstimmigkeit des Choralgesangs zum höchsten Ausdruck unserer geistlichen Sehnsucht, die unser Leben formt und prägt.

Pater Simeon Wester O.Cist., Stift Heiligenkreuz
(Vorwort: Die Mystik des Gregorianischen Chorals)

Die CD der Choralschola mit umfangreichem Booklet erhalten Sie in unserem Klosterladen.