Die Flamme der Liebe

http://www.ocist.org/ocist/images/pdf/DEPfingstbrief2019.pdf

 

Liebe Brüder und Schwestern,

Vor 900 Jahren liessen die ersten Zisterzienserväter gemeinsam mit ihren Gemeinschaften von Papst Calixtus II. ein Dokument bestätigen, das dazu bestimmt war, die Beziehungen zwischen den Klöstern so zu gestalten, wie die Benediktsregel den Beziehungen derGlieder einer einzigen Gemeinschaft Form gibt.Sie haben dieser Urkunde den Namen Carta caritatis –Carta der Liebe gegeben, weil es die neue Klosterfamilie von Cîteaux dazu anhalten will, in der brüderlichen Gemeinschaft zu wachsen und auf diese Weise inder Kirche und der Welt das Licht der Liebe der göttlichen Dreifaltigkeit auszustrahlen.Während dieses Jahres gedenken zahlreiche Studien und feierliche Anlässe der Approbation der Carta caritatis, denn diese Bestätigung ermöglichte die Entstehung des Zisterzienserordens als gesetzlich errichteten und organisierten monastischen Orden. Anlässlich der verschiedenen Kongresse, Symposien und Zusammenkünfte überall in der Welt werden viele Aspekte der Cartavertieft.Das wird uns bestimmt helfen, unser Bewusstsein zu schärfen für unsere Identität, für den Wert unseres Charismas, für denAuftrag,den der Heilige Geist uns anvertraut und den die Kirche anerkannt und gesegnet hat in der Autorität, die Christus dem Petrusamt hinterlassen hat.Der zentrale PunktIn diesem Pfingstbrief möchte ich mich auf einen einzigen Punkt der Carta caritatiskonzentrieren, auf den entscheidenden, den zentralen Punkt. Ich werde ihn besonders hervorheben, damit wir Zisterzienserinnen und Zisterzienser und alle, die auf irgendeine Weise mit unserem Charisma verbunden sind, die Flamme neu beleben, die vor 900 Jahren angezündet wurde,und die trotz aller menschlicher Schwächenund Treulosigkeitenwährend der vergangenen Jahrhunderte nie zu brennen aufgehört hat.Dieser zentrale, entscheidende Punkt ist die Flamme selbst: die Caritas, die Liebe.

2Die Probleme, mit denen wir heute im Leben unserer Berufung konfrontiert werden, sind vielfältig und nicht neu. Die ständige Auseinandersetzung mit diesen Problemen, wie auch der Umstand, dass uns der Wunsch nach Einheit und der Auftrag, nach Lösungen zu suchen, häufiger zusammenführen, machen eine entscheidende Frage immer drängender: Was vereint uns? Warum gehenwir einen gemeinsamen Weg? Sind es wirklich die Probleme, die Schwierigkeiten, die Schwächen, die uns verbinden? Sind es nur die kanonischen Gesetze, die Pflichten, diewir mit unseren Gelübden auf uns genommen haben? Ist es nicht etwas viel Tieferes?Diese Frage wird in dem Massakuter, wie wir uns bewusst werden, dass uns eben nicht diese Faktoren und nicht nur die Aufgabe, die Schwierigkeiten anzugehen und durchzustehen, tatsächlich verbinden. Viele meiden die Gemeinschaft unter uns oder fliehen vor ihrer eigenen Gemeinschaft, gerade umdenProblemen auszuweichen,oder weil sie eine nur auf Gesetz gegründete Treue und durch Gelübde eingegangene Verpflichtung nicht mehr ertragen.Mitten in dieser Situation, in der die Zahl derer, die mit Freude Verantwortung im Orden, sein Charisma, seine Berufung und Sendung anzunehmen bereit sind, immer geringer wird, ist es, als würde der Briefträger an unserer Türe läuten und uns einen Brief aushändigen, der vor 900 Jahren abgeschickt wurde. Das Datum des Poststempels erstauntuns: 23. Dezember 1119! Voller Erwartung und Neugierde öffnen wir und entdecken, dass es ein Liebesbrief ist. Was für eine Überraschung!Wir erröten, denn schliesslich sind wir nicht gewohnt, solche Briefe zu bekommen. Beim Lesen überrascht uns seine Frische. Er ist 900 Jahre alt und erstaunlich aktuell, so passend für uns heute! Woher hat erdieses immer Neu-sein? Es kommt davon, dass er die Liebe, die Caritasins Zentrum stellt. So lässter uns verstehen, wie wir den Schwierigkeiten undProblemen begegnen können, vor allem aber, wie wir unsere Berufung und Sendung leben können, wenn wir in diesem Zentrum verankert sind und es das Licht ist, das unser Zusammensein und unsern Umgang mit den schwierigen Situationen erleuchtet.Eine grundsätzliche FrageDieCarta caritatisstellt uns somit eine grundsätzliche Frage: Leben wir unsere Berufung im Licht der Caritas? Leben wir siemit Liebe? Gehen wir den gemeinsamen Weg in Liebe? Sind wir eins in der Liebe? Leben wir unsere Zugehörigkeit zum Orden als Gemeinschaft der Liebe?Wenn ein Verliebter seiner Erwählten einen Liebesbrief schreibt, dann erklärt er ihr vor allem seine Liebe und bittet sie darum, dass auch sie ihm ihre Liebe ausdrücke. Uns ist wohl das feine Gespür für so etwasabhandengekommen. Wir täten aber gut daran, die grundlegenden Texte unseres Glaubens und unserer Berufung gerade wie eine Liebeserklärung zu lesen, die auf unsere Liebeserklärung wartet. Ist nicht die Heilige Schrift, ist nicht das Evangelium eine Liebeserklärung? Sind das nicht auch die Benediktsregel oder die Werke unserer Autoren? Und gerade das ist die Carta caritatisdes heiligen Stephan Harding und seiner Zeitgenossen.Wir müssten es eigentlich deutlich spüren, dass wir geliebt, dass wir privilegiert sind, wenn wir einen Text in der Hand haben, der sich seit 900 Jahren darum bemüht uns zu zeigen, wie wir voll und ganz unsere Berufung leben können,und uns dafür Ratschläge und die geeigneten Mittel gibt: Zeiten gemeinsamen Lebens,gemeinsamen Betens,

3gemeinsamer Ausbildung, Gesten gegenseitiger Zurechtweisung, um uns ständig zu läuternvon unserer Tendenz, die „erste Liebe“ erkalten zu lassen, lau zu werdengegenüber unserer fundamentalen Berufung, nämlich „der Liebe zu Christus nichts vorzuziehen“ (RB 4,21).Die Versuchung lau zu werdenWas ist Lauheit, diese Lauheit der Kirche von Laodikia, die Christus so anwidert, dass ihn davor ekelt (vgl. Offb3,15-16)? Lau sein, weder warm noch kalt, heisst, sich an die Temperatur der Umgebung anzupassen. Lauheit ist die Temperatur der Welt. Lau sein bedeutet im Grunde sich nach der Welt richten. Es ist niederschlagend zu sehen, wie leicht wir uns an die Welt,an ihre Eitelkeit anpassen in allem, was uns im Gegenteil eine andere Temperatur geben sollte selbst bei der Verrichtung von Dingen, die auch alle anderen tun: Gebet, Arbeit, Erholung, menschliche Beziehungen … Lauheit ist die Versuchung, in die wir leicht hineinschlittern, weil die Glut des Heiligen Geistes etwa so verlorengeht,wie ein Kaffee erkaltet oder ein erfrischendes Getränkt sich erwärmt: Allmählich gleicht sich die Flüssigkeit, die nicht frisch erwärmt oder abgekühlt wird, der Raumtemperatur an und verliert ihren Geschmack und wir das Vergnügen, sie zu trinken. Diese Erfahrung machen wir alle. Wir verlieren den Eifer, die Begeisterung, die Freude an unserer Berufung. Wir verlieren den Geschmack an dem, was uns einmal angefeuerthat, z.B. denGeschmack am Wort Gottes oder am Gebet, oder denGeschmack am brüderlichen Leben,oder den Geschmack amDienst für dieGemeinschaft, denOrden, dieKirche. Dieser Lauheit kann man nicht mit Thermosflaschen beikommen, die künstlich die ursprüngliche Begeisterung erhalten. Es genügt nicht die Wärme, die Flamme, die unmittelbar und ununterbrochen die Temperatur des Herzens und des Lebenserwärmt, zu konservieren, man muss sie anfeuern. Ist nicht gerade das der Sinn jeglicher monastischen Disziplin, das Ziel all dessen, was die Regel des heiligen Benediktuns rät und vorschreibt? Die treue Wiederholung der Gesten und Zeiten der Gemeinsamkeit mit Gott und den Brüdern und Schwestern bekämpft das unweigerliche Lauwerden, in das wir so leicht abrutschen,oder in das uns die illusorische Faszination derWelt hineinziehen will.Das Feuer, das wir dringend benötigen und das wir ständig unterhalten müssen, ist die Liebe, die Liebe Gottes, die uns der Heilige Geist mitteilt. Ein Hymnus für die Terz lässt uns den Heiligen Geist darum bitten: „flammescat igne caritas–in Feuer entflamme die Liebe“. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig helfen, die Flamme der Liebe zu Christus lebendig zu erhalten, wie die Carta caritatisuns lehrt.Sie wussten, dass es der Herr warWie geschieht das? Wie hat Christus die Glut der Liebe der Jünger immer wieder von neuem entfacht?In denEvangelien von der Auferstehung gibt es eine Konstante: Die geheimnisvolle Begegnung mit dem Herrn liess die Herzen der Jünger brennen vor Liebe und Freude. Das ist nicht nur der Fall bei den Jüngern von Emmaus, wo dieses Feuer ausdrücklich erwähnt wird (vgl. Lk 24,32). Ich betrachte gerne die Szene, in der Jesus bei Tagesanbruch am Ufer des Sees von Tiberias den Jüngern erscheint. Nach dem wunderbaren Fischfang, nachdem Petrus die 153 grossen Fische aus dem Schiff gezogen hatte, lädt Jesus die Jünger ein, mit ihm das Frühstück zu teilen, das erselbst für sie zubereitet hat.

4Tatsächlich sahen sie „am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen“ (Joh 21,9). Jesus bittet die sieben Jünger, etwas vom frisch gefangenen Fisch auf dem Feuer dazuzulegen, dann lädt er sie ganz unkompliziert ein: „Kommt her und esst!“. Johannes fährt fort: „Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch“ (Joh 21,12-13).Es fällt nicht schwer, sich in die Freude hineinzuversetzen, mit der die übermüdeten und enttäuschten Jünger diesen Augenblick der Gemeinschaftund des Teilens erlebt haben. In der Stille der ersten Morgenstunde, im goldenen Licht des Tagesanbruchs auf dem See war dieses Zusammensein mit Jesus ein totales, ein vollendetes Erlebnis.Sie konnten nichts anderes mehr wünschen, sich keine grössere Schönheit, keinen tieferen Frieden vorstellen. Sie wussten sich geliebt, von Liebe erfüllt, weil Jesus lebendig war, weil Jesus bei ihnen war. Die Liebe deckte sich für sie mit der lebendigen Gegenwart Christi. Und die Erfahrung dieser Liebe machte sie fähig, ihrerseits zu lieben, die Liebe Jesu, seine Gegenwart zu lieben. Um dieses Feuer der Liebe herum versammelt fühlten sie sich voller Liebe für alle und alles: für jeden einzelnen von ihnen, für ihre Familien, für die abwesenden Jünger,für die ganze Menschheit; voller Liebe auch für dieses Ufer, für die Hügelund den See, für den Himmel, die Sonne und die Luft, für die Vögel und die Fische, für das ganze Universum. Jesus hat sie eingeladen, er hat sie einfach eingeladen bei ihm zu sein,und das war das Feuer, das ihre Herzen und die gesamte Wirklichkeit in Liebe entbrennen liess.Die Liebe macht neuDas absolut Neue der christlichen Liebe ist nicht das, was man für Gott oder die andern tut.Das Neue ist, von wo aus die Liebe zu Gott und dem Nächsten ausstrahlt. Das Neue ist dieses Feuer, das Christus für uns entfacht hat, um uns die Schönheit seiner Gegenwart erfahren zu lassen. Der Fisch und das Brot auf dem Kohlenfeuer, das Jesus angezündet hat, sind Symbole des Leidens und des Todes, Symbole der Eucharistie. Das Feuer der Caritasnährt sich vom Holz des Kreuzes, um uns Christus selbst zu essen und zu trinken zu geben, um Christus in uns aufzunehmen und zu verschenken. Der heilige Augustinuserinnert uns daran, dass die Neuheit des „neuen Gebotes“, das Jesus uns gegeben hat,nicht in erster Linie darin besteht, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, denn das verlangte schon das Alte Testament. Das Neue am neuen Gebot besteht darin, dass Christus „uns den alten Menschen auszog und den neuen anzog“. Zu lieben wie Christus uns liebt ist ein neues Gebot, weil das eine Liebe ist, die uns neu macht (vgl. Vorträge über das Johannesevangelium65,1). Das Gebot Jesu ist neu, weil es unsere Liebe mit dem Feuer seiner österlichen Liebe neu macht.Auch Petrus hat unmittelbar nach dieser Szenebeim Feuer am Seeuferverstanden, dass er sagen durfte: „Du weisst, dass ich dich liebe“ (Joh 21,15-17), weil diese Liebe nicht etwas ist, das er aus sich selber schöpfte. Sie ist der Abglanz, das Leuchten der Liebe, die in ihm brennt, wenn er mit Jesus, eins mit ihmist.

5Eins mit ChristusDie grosse Neuheit besteht darin, dass die Liebe in uns aus der Einheit mit Christus heraus entbrennt.Die Jünger, die um das Feuer mit dem Fisch und dem Brot versammelt sind, spüren, dass die Liebe in sie einströmtaus der Glut der einfachen und frohen Gemeinschaft mitdemgegenwärtigen Herrn.Sie haben sich in diesem Moment wohl daran erinnert, was Jesus ihnen von sich selber gesagt hatte, als er vom guten Hirten erzählte, der sein Leben hingibt für die Schafe: „Ich und der Vater sind eins“(Joh 10,30). Sie erahnten, dass dieses Eins-sein mit dem Vater in Jesus eine Flamme war, dieununterbrochen das Feuer einer grenzenlosen Liebe unterhielt. Nach der Auferstehung erkannten die Jünger, dass sie im Bezug zu Jesus dasselbe von sich selbst sagen konnten, und dass dies der Funke war, der auch in ihnen das Feuer einer grenzenlosen Liebe entfachte. Gott nimmt uns so tief in die Liebe hinein, die er IST, dass jeder von uns sagen kann: „Ich und Christus sind eins“; und in der Gemeinschaft der Kirche können wir alle sagen, dass diese Gemeinschaft mit Jesusuns untereinander eins macht. Mein Bruder, meine Schwester ist eins mit Christus gerade so wie ich, und nichts kann uns tiefer verbinden als dieses Geheimnis. Die Kirche lebt ausdiesem Bewusstsein, dass wir alle eins sind mit Christus. Und indem wir eins sind mit dem Sohn, sind wir es auch unmittelbar mit dem Vater in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes: „An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch“(Joh 14,20).Die Einheit mit Christus, die leuchtende Erfahrung seiner dreifaltigen Liebe, ist das sichere Fundament unserer Fruchtbarkeit. Angesichts der Herausforderungen des Lebens, der Berufung und der Sendung, die der Herr uns anvertraut, leben wir meist in der Angst, nicht fähig zu sein, es nicht zu schaffen. Und den Mitmenschen trauen wir noch weniger zu, dass sie veränderungsfähig sind. Wir vergessen, dass Gott uns vor allem die Fähigkeit geschenkt hat, mit ihm eins zu sein, ja, dass Christus mit uns bereits eins geworden ist dank seines Todes und seiner Auferstehung, durch die Gnade des Glaubens, der Taufe, der Eucharistie und aller Sakramente, indem er uns zu Gliedern an seinem Leib, der Kirche macht. Die Gnade, mit Christus eins zu sein, ist alles und macht uns zu allem fähig, was Gott von uns will.Die Gemeinschaft mit Christus ist die Gnade, die uns nie verweigert wird, die immer erneuert wird.Wer diese Gnade annimmt und pflegt wird erfahren, dass alles Gnade wird, auch die schwierigste Aufgabe, auch eine noch so lastende Prüfung.Erbe und AuftragDiese Gnade macht es möglich, dass sich unsere Berufung und jede Berufung erfüllt und erneuert. Indem unsere ersten Zisterzienserväter in der Carta caritatisvon uns fordern, unsere Berufung ganz im Licht und mit der Glut der Liebe zu leben, habensie uns als Erbe das Geheimnis der immer möglichen Erneuerung hinterlassen, diewesentlich von der Gnade, eins zu sein mit Jesus Christus, unterhalten wird. Wenn wir das Bedürfnis und die Dringlichkeit dieser persönlichen oder gemeinsamen Erneuerung spüren, müssten wir den Ruf Christi wahrnehmen, uns in der Gemeinschaft mit ihm vom Feuer der Liebe erfassen zu lassen. Wir dürfen aber nicht die Liebe von der Gemeinschaft mit Christus, die uns im Heiligen Geist mit dem Vater vereint, trennen, weil nur Gott allein Liebe ist, und weil wir nur eins mit ihm „Anteil an der göttlichen Natur erhalten“ (2 Petr 1,4).

6Unser grösster Irrtum besteht darin zu vergessen, dass Jesus gerade in dem Moment, als er von unsgegenseitige Liebe verlangte, sagte, wir könnten ohne ihn nichts tun (vgl. Joh 15,5). Liebe ausserhalb der Einheit mit Christus definierenzuwollen, machtsie zu einem persönlichen Projekt, zu einem eigenen Werk, das zum Scheitern verurteilt ist. Wir müssen uns nicht entschliessen zu lieben, sondern mit Christus vereint zu bleiben, und ER wird uns befähigen zu lieben, wie er uns geliebt hat, uns gegenseitig zu lieben und ihn in jeder Person zu lieben, der wir begegnen.Allein diese der Einheit mit Christus entspringende Liebe verwandelt unser Leben und unsere Gemeinschaften. Sie verwandelt sie, indem sie diese zu Werkzeugen für die Errichtungdes Reiches Gottesmacht, denn „die Liebe baut auf“ (1 Kor 8,1). Sie verwandelt sie durch Barmherzigkeit, „denn die Liebe deckt viele Sünden zu“ (1 Petr 4,8), die unsrigen und die der andern. Diese Liebe verwandelt unsere Gemeinschaften, indemsie sie eint, denn Christus ist die Mitte, die die gesamte geschaffene Realität eint. Sie verwandelt sie, indem sie uns vom „Tod in das Leben“hinüberführt,„weil wir die Brüder lieben“(1 Joh 3,14). Sie verwandelt sie, indem sie unsere Freudlosigkeit mitFreude vertauscht, mit einer grösseren Freude in uns und unter uns: der vollkommenen Freude Christi(vgl. Joh 15,11).Dieses Erbe ist ein Acker, den es zu bebauen gilt. Jede Erbschaft bleibt lebendig, wenn sie Auftrag wird. Wir sind Erben eines Charismas, das von uns die Errichtung von Wohnungen, von Gemeinschaften verlangt, eine Familie von Klöstern, nicht Museen oder Klubs für Individualisten. Die Carta caritatislehrt uns, das Geschenk der Liebe wie einen Samen zu empfangen, der fruchtbar werden will. Sie lehrt uns auch der Tatsache zu entsprechen, dass sich die Liebe in uns nur von der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus ernährt.Wie können und müssen wir die Gemeinschaft mit Christus, die Quelle seiner Liebe in uns und unter uns, pflegen?Man könnte sagen, dass Christus uns in dem Mass mit sich vereint, in dem wir die Zeichen und Mittel seiner lebendigen Gegenwart annehmen und pflegen. Die Carta caritatiswie auch die Benediktsregel bestehen darauf, dass wir vor allem in Verbindung mit der durch unser Charisma geformten kirchlichen Familie leben, dass wir die vorrangige Zugehörigkeit zu unserer Gemeinschaft und zur „Gemeinschaft der Gemeinschaften“unseres Ordens und der gesamten Zisterzienserfamilie nicht vernachlässigen. Sie lehrt uns, Begegnung zu suchen, gemeinsam zu arbeiten, uns gegenseitig in Barmherzigkeit zurechtzuweisen und immer nach einer Gemeinsamkeit des Betens zu streben, die uns in jeder Gemeinschaft so aufnimmt, als wäre es die unsrige.Seien wir unseren Vätern dankbar dafür, dass sie uns diesen Liebesbrief geschickt haben, der uns das alles in Erinnerung ruft. Auf diesen Brief müssen wir antworten. Gott gewähre uns, dass wir mit dem Brief unseres Lebens antworten, und dass auch dieser ein Liebesbrief sei!Fr. Mauro-Giuseppe Lepori OCistGenerala