Anfang März dieses Jahres hat mich eine Ordensschwester aus der Slowakei gefragt,

ob ich eine Möglichkeit wüsste, eine ukrainische Mutter mit zwei Kindern in Deutschland
vorübergehend unterzubringen. Anzumerken ist, dass der Ehemann und Vater der Kinder ein
Priester der unierten katholischen Kirche in der Ukraine ist. Diese dürfen heiraten.
Spontan ist mir die Abtei Oberschönenfeld eingefallen. Die Äbtissin, Mutter Gertrud Pesch,
hat mein Anliegen auch sofort mit ihren Mitschwestern besprochen. Und alle Schwestern
waren damit einverstanden, dass die Familie (Mutter 38, Sohn 12, Tochter 9) im Gästehaus
der Abtei eine sichere Bleibe findet.
Dann kam erst einmal keine Rückmeldung mehr aus der Ukraine. Können sie kommen oder ist
die Ausreise problematisch? Einige Tage später kam die Information, dass sie sich in Polen
befinden und sich die Weiterreise wegen fehlender Papiere verzögert. Die Kommunikation
fand immer über mehrere Kontaktpersonen in der Ukraine, der Slowakei und Polen statt.
Schließlich hat uns eine deutsche Frau aus Berlin angerufen, dass sie dort angekommen sind
und eine Nacht dortbleiben werden und am Folgetag mit dem Zug nach Augsburg kommen
werden.
In der Abtei waren die Räume vorbereitet. An alles haben die Schwestern gedacht. Süßigkeiten
für die Kinder, Kosmetikartikel und vieles mehr. Am Tage der Ankunft habe ich Mutter Gertrud
in der Abtei abgeholt und wir sind beide zum Hauptbahnhof in Augsburg gefahren. Voller
innerer Anspannung haben wir auf die uns fremden Personen gewartet. Lediglich eine Kopie
des Reisepasses der Mutter war eine kleine Orientierungshilfe für uns.
Schließlich kam der ICE aus Berlin pünktlich am Gleis 1 an und nach einem kurzen Augenblick
stand eine junge Mutter und die beiden Kinder vor uns. Das Mädchen hatte ihren Teddy im
Arm und die Mutter lediglich eine kleine Reisetasche. Die Kinder hatten ihr Gepäck jeweils in
einem kleinen Kinderrucksack auf dem Rücken.
Nach der Ankunft und dem Bezug der Zimmer kam das Schockerlebnis für die Kinder. Ein
heftiger Weinkrampf der uns allen auch an die Nieren gegangen ist. Beide waren nur schwer
zu beruhigen und wir haben deshalb eine Telefonverbindung zum Vater hergestellt und dieses
Gespräch hat die Situation etwas beruhig. Die Kinder waren seit Tagen unterwegs und

mussten vieles zurücklassen. Erschwerend kam hinzu, dass beide emotional sehr stark mit
ihren Omas verbunden sind. Dort verbrachten sie bisher immer viel Zeit. Die Oma hat Hunde,
Hasen, Enten, Vögel und einen großen Garten.
Die ersten Tage waren für die Kinder nicht einfach. Vor allem Marija war sehr verschlossen,
kein Lächeln kam über ihre Lippen. Mikola (auf Deutsch: Nikolaus) tat sich etwas leichter. Er
hat in der Ukraine Deutsch Unterricht gehabt und konnte sich etwas verständigen.
Aber auch für die Mutter war es alles andere als einfach.
Viele Spender haben uns mit passender Kleidung, Fahrräder und sogar einem nagelneuen
Notebook versorgt.
Gerade Kleidung war sehr wichtig. Denn der Frühsommer erwärmte bereits die Luft und drei
hatten ja nur Wintersachen dabei.
Gleich am dritten Tag ging es zum Einkaufen. Leichte Schuhe für die Kinder und die Mutter.
Die Bescheidenheit war auffällig: der Griff ging immer nur zum günstigsten. Da wäre aber oft
die Qualität nicht passend gewesen. So haben wir hier etwas gegengesteuert.
Dann kamen die Hürden für die Registrierung etc. Anfänglich mussten wir uns per E-Mail um
einen Termin bemühen. Dann stellte sich nach zwei Wochen heraus, dass diese
Verfahrensweise geändert wurde. Jetzt musste man sich Online ein Zeitfenster aussuchen.
Das war alles andere als einfach, da alle Termine über Wochen ausgebucht waren. Aber gute
Geister hatten ein Einsehen mit der Familie und haben geholfen.
Bei der Gemeinde konnte die Mutter angemeldet werden. Die Kinder leider nicht, da sie über
keinen Pass verfügten und die Geburtsurkunde nicht ausreicht. Diese Momente erzeugen bei
einer Mutter in einem fremden Land eine gewisse Unruhe.
Nach einigen Wochen war es dann so weit. Der Tag der Registrierung war da und wir fuhren
gemeinsam zur Ausländerbehörde beim Landratsamt. Die Mitarbeiter dort hatten schon sehr
viel vorbereitet, da wir alle Unterlagen vorab per Mail dorthin gesendet haben. Eine
freundliche Atmosphäre hat uns im Amt begleitet. Der letzte Anlaufpunkt war dann die
biometrische Registrierung mit Fingerabdrücken aller Finger und aller Personen. Und wie
vielfach in den Medien berichtet kam der gefürchtete Systemausfall.
Ein neuer Termin musste vereinbart werden. Diesmal um 07:30 Uhr, da zu dieser Zeit das
System weniger störanfällig ist. Also ging es von mir zuhause eine Woche später um 05:30 Uhr
nach Oberschönenfeld und dann nach Augsburg zum Landratsamt.
Нормально – Alles Gut! endlich hat alles funktioniert und die Fahrt hat sich gelohnt.
Zur Belohnung gab es für die Kinder jetzt ein gutes Frühstück. Anschließend ging es zur
Telekom dort haben wir die SIM-Karte für ukrainische Flüchtlinge abgeholt.
Sprachliche Probleme: jede Menge zumindest für mich. Die Mutter spricht sehr gutes Englisch.
Einige Schwestern in der Abtei ebenfalls. Meines ist eher mangelhaft. Aber mit Google
Translater, Händen und Füßen und meinem „elektrisch englisch“ kommen wir mittlerweile gut
zurecht, Über Whats App halten wir täglich Kontakt und lösen über diesen Weg auch das eine
oder andere Problem.
Die Kinder gehen jetzt schon seit einigen Wochen in die Schule. Wir haben von der Rektorin
ein wundervolles Feedback erhalten: „sehr intelligente Kinder und ausgezeichnet erzogen –

der ganze Lehrkörper ist begeistert“. Und das kann ich nur bestätigen! Von Montag bis Freitag
geht es in die deutsche Schule und am Samstag in die ukrainische Schule in Augsburg, Und
zwischenzeitlich wird auch der Onlineunterricht aus der Ukraine besucht. Bildung steht für die
Mutter an erster Stelle. Die Kinder werden durch die Mutter ohne das geringste laute Wort
geführt. Kein Quengeln in einem Geschäft oder im Auto. Ich bin selbst immer wieder
begeistert und selbst meinen Nachbarn ist das sofort aufgefallen. Denn ein bisschen gehören
sie bereits zu unserer Familie. Unsere Töchter haben auch ihren Beitrag geleistet: Kleidung,
Einladung zum Geburtstag, zu Ostern und ein kostenloser professioneller Haarschnitt für alle.
Technisch sind die Schulen in der Ukraine hervorragend ausgestattet. Die Mutter der Kinder
(sie ist Lehrerin an einer Grundschule) hat mir Bilder von ihrem Klassenzimmer gezeigt, So
eine Ausstattung findet man bei uns definitiv nicht.
Ein besonderes Ereignis war der Zugang von Haustieren, die die Schwestern organisiert
haben. Zwei Hasen die im Klostergarten ein neues Zuhause gefunden haben. Die Kinder
waren begeistert und haben sofort alle Aufgaben übernommen und kümmern sich ganz
großartig um „ihre Rabbit“. Auch im Klostergarten helfen sie zuweilen mit.
Mikola interessiert sich für alles was mit Natur und Tieren zu tun hat. Deshalb ist er auch vor
einigen Wochen in den Teich im Klausurgarten gefallen. Seitdem hat seine Schwester, die
kleine Marija, das Lachen wieder gefunden. Mittlerweile ist sie ein frohes Mädchen das
stundenlang über einem großen Puzzle sitzen kann oder mit ihren Teddys spielt.
Danke an alle Freunde des Klosters die mit persönlicher Zuwendung, Kleiderspende, Geld
und vor allem auch Zeit bis jetzt geholfen haben. Mittlerweile haben die drei auch schon
einiges von unserem schönen Bayern gesehen. Aber nichts kann die eigene Heimat ersetzen,
die sie sehr vermissen.
Vier Bücher habe ich in den letzten Wochen über die Ukraine gelesen. Die Ukrainer gehen
seit vielen Jahrhunderten einen Kreuzweg. Holodomor, das Aushungern von Millionen durch
Stalin, die Verbrechen von Hitler, die Verbrechen an den ukrainischen Juden und jetzt dieser
fürchterliche Krieg und die Verbrechen an einem großartigen Volk, das nichts möchte als in
Freiheit und Demokratie zu leben.
Beten wir für den Frieden!
SLAVA UKRAINA!

(Bericht: Rudolf Baier)